Ein Hoch auf die Verschwendung! Die Zeit-Verschwendung. Keine Abkürzung mehr, um Zeit zu sparen. Genau genommen kann man Zeit gar nicht sparen, es bedeutet bloss, etwas anderes aus-gespart zu haben. Die schönere Aussicht vielleicht, die unverhoffte Begegnung oder tief auszuatmen …
Zeit ist schwer zu fassen und genauso vielfältig, wie die Menschen, die sie füllen. Es wurde ja schon oft gesagt: die einzige Zeit, die wir wirklich „haben“ ist die Jetzt-Zeit. Weil die Vergangenheit schon vergangen und die Zukunft noch nicht da ist. In diesem Sinne hat Zeit also viel mit Präsenz zu tun – ich bin nur wirklich da, wo ich jetzt gerade bin. Alles andere ist Illusion und Utopie zugleich.
Was dann passieren kann beschreibt Reinhard Deichgräber: „Sooft wir uns mit wachen Sinnen auf die Gegenwart einlassen, wartet unausweichlich eine schwer zu bestehende Erfahrung auf uns. Was da ist, ist in den seltensten Fällen rundherum erfreulich. Es entspricht keineswegs immer unseren kühnsten Wünschen und Vorstellungen. Es bleibt weit zurück hinter dem, wie es nach unserer Meinung eigentlich sein müßte.“ Das ist gar nicht schön und wahrscheinlich der Grund für die Flucht nach vorn oder nach hinten.
Ich frage also heute einfach mal, ob die übervollen Terminkalender, die Zeit-Management Seminare und Leistungskurven vielleicht bloss Strategie sind, um nicht hinsehen zu müssen. Dahin, was jetzt gerade ist. Um dann, was nicht gefällt, zu ändern. Oder die Gelegenheit zu nutzen sich einfach mal ganz gepflegt zu langweilen. Einfach mal der Zeit dabei zuschauen, wie sie vergeht. Ohne Angst, etwas zu verpassen oder die Zeit nicht „sinnvoll“ zu nutzen. Wer bestimmt denn über den Sinn? Wer hat aus Zeit und Sinn ein Geschwisterpaar gemacht? Oder aus Zeit und Geld? Vielleicht ist es am Ende die gesparte Zeit, die uns anödet – in Form von Reißbrettarchitektur mit Wohnsilos, Schuhschachtelwohnungen, schnurgeraden Straßen, begradigten Flüssen und „Architektenbäumen“?