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Venus und die Muschel auf dem Jakobsweg

Letzte Woche war ich mit meinem Feng Shui Meister in den Schweizer Bergen unterwegs. Allein und auf dem Rückweg wanderte ich eine Zeit lang auf der Via Jacobi, dem durch die Schweiz führenden Jakobsweg. Überall begegnete mir das Zeichen der Klappmuschel und erinnerte mich an einen Text, den ich vor kurzem las.

Pilgerweg Santiago de Compostela

„Der Wallfahrtsweg nach Santiago de Compostela ist eine der geheimnisvollsten Routen in Europa, denn offensichtlich ist hier ein Wegeverlauf erhalten geblieben, der möglicherweise bereits im Neolithikum entstanden ist …“, schreibt Erika Haindl in ihrem Buch ‚Die Heilkraft der Rituale‘. Als Merkmal der überstandenen Strapazen und des spirituellen Erlebens tragen die Pilger eine Klappmuschel. Haindl widmet sich unter anderem der Frage: Wieso eine Muschel?

Besagte Muschel taucht bereits als kultischer Gegenstand und als Grabbeigabe im historischen Europa auf. Generell haben Grabbeigaben die aus Perlen oder Muscheln bestehen eine rituelle Bedeutung, sie verweisen auf den Rhythmus von Geburt, Tod, Wiedergeburt und auf das „Wasser des Lebens“.

Eingeweihte Baumeister pilgern nach Compostela

Ursprünglich folgten die alten neolithischen Pilgerwege, die auch als Initiationswege gelten, den Sternen und führten von Ost nach West bis zum Atlantik. Legenden besagen, dass Noah nicht der eine Mann mit der Arche war, sondern Menschen bezeichnet, die (aus Atlantis kommend) nach der großen Sintflut wieder festes Land betraten und das enorme Wissen einer hoch entwickelten Kultur mit sich brachten. Dieses Wissen umfasste zum Beispiel die Baukunst, und die darin Eingeweihten erkannten sich durch das Symbol eines Gänsefußes. Die „vom Meer kommenden“ gelten heute als Vorläufer großer geheimer Bruderschaften, zu denen nur gehören kann, wer initiiert ist.

Dass die ursprünglichen Sternenwege an vielen Kraftplätzen vorbeiführten, gefiel der Kirche ganz und gar nicht. Deshalb wird mittlerweile vermutet, dass Mönchsorden den ursprünglichen Verlauf der Sternenwege veränderten – einfach um die Pilger daran zu hindern, an den wichtigen vorchristlichen Initiationsorten vorbei zu kommen.

Um nun wieder auf die Legende zurück zu kommen: „Maitre Jacques“ galt als Meister des Steins und früher wurden die Bauhandwerker „Jars“ genannt, also „Gänserich“. Nun gibt es eine Vermischung zwischen diesem Maitre Jacques und dem heiligen Jakobus, der der Legende nach in einer Barke vom Atlantik angespült wurde. Als man seine Leiche barg und ihn auf einen Stein legte, „schließt sich der Legende entsprechend der Stein um ihn wie zu einem Sarkophag. Damit erweist sich der Apostel als ein wundersamer Steinmetz-Meister.“

Die initiierten Baumeister und ihre Zugehörigkeit zur Bruderschaft konnte man also am Abzeichen, dem Gänsefuß, erkennen. Da dies jedoch ein „heidnisches“ Zeichen war wird vermutet, dass sich der Gänsefuß in die Muschel wandelte, da angeblich das Boot mit der Leiche des Heiligen Jakobus ganz mit Muscheln bedeckt war. Da der Pilgerweg nach Compostela vor allem für Baumeister und Bauhandwerker ein Initiationsweg blieb wurde die Muschel zum Zeichen der Pilger.

„Niemand konnte als Baumeister wirklich erst genommen werden an den großen Baustellen der Gotik, der nicht diesen Inititationsweg gegangen war. Dabei haben offensichtlich viele der Handwerker auch nach der Christianisierung noch immer das alte Zeichen des Gänsefußes verwendet … . So findet man an den Bauwerken des Pilgerweges nach Santiago den Gänsefuß und seine Abwandlungen heute sowohl in christlichen Kirchen, aber auch in Steinen, die möglicherweise Tausende von Jahren zuvor gezeichnet worden waren.“

Die Muschel der Venus

Das berühmteste Motiv von Venus und Muschel hat der Maler Sandro Botticelli geschaffen.

Botticelli_Geburt der Venus

Die Geburt der Venus erfolgte, so die Legende, nachdem Kronos seinem Vater Uranos die Geschlechtsteile abgeschnitten hatte und diese hinter sich ins Meer warf. Als Blut und Samen sich mit dem Meer vermischten schäumte dieses auf und gebar die Venus.  – Aus etwas Schrecklichem kann also durchaus etwas Schönes und Liebenswertes entstehen. –

„Die Geburt der Venus“ besteht aus vier großen Motiven. Von links blasen Windgeister, von einzelnen, dahin schwebenden Blumen umgeben, die Muschel, auf der die jugendschöne Göttin Venus steht, zum Strand. Rechts auf der festen Erde stehend, hält eine Frau der auf der Muschel herangleitenden nackten Venus einen wehenden, blütenbesetzten Mantel entgegen.

Links haben wir die Gefährdung durch den bewegenden Wind, rechts die Erdmutter. Diese ist ebenfalls in Bewegung, denn sie eilt herbei, mit einer Schutz symbolisierenden Geste und dem Mantel zur Umhüllung der nackten Gestalt auf der Muschel. … Die Muschel ist das Eigentliche und das beherrschende Motiv des Bildes. Venus ist mit ihrem Körper die Sichtbarmachung des Prinzips, das die Muschel vermittelt … In ihrer Offenheit signalisiert sie Ungeschützheit.“

Im Bild finden sich also symbolhaft alle Zeichen : die Muschel, das Wasser und die große Mutter Gaia, deren heiliger Vogel der Schwan ist.  Und wer weiß schon, ob Gänsefuß die rechte Deutung ist, schließlich könnte der Abdruck auch von einem Schwanenfuß stammen.

Alles in allem ein sehr breites Feld und wenn Sie bald nach Santiago de Compostela pilgern gibt es sicherlich Muße für ein paar eigene Deutungen. Für mich jedenfalls gilt: Ich will es wieder tun!