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Was haben „ein Jahr, ein Kleid“, Angst vor Versagen und Kalligraphie gemeinsam?

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Ehrlich gesagt, an diesem Artikel „mopse“ ich schon länger.  Bis jetzt schien er mir nie rund genug zum Veröffentlichen. Doch heute lasse ich 5e gerade sein – schließlich haben Ovale einen eigenen Reiz, manchmal braucht es, auch im Feng Shui, Ecken und Kanten 😉 und vielleicht muss sich gar nicht alles beim ersten Lesen erschließen …. .

„Sei Wasser", sagte Bruce Lee. Sicher, weil Wasser immer einen Weg finden. Georgien © S.B.

„Sei Wasser“, sagte Bruce Lee. Sicher, weil Wasser immer einen Weg findet. Georgien 2017 © S.B.

„Vor einiger Zeit beschäftigte mich die Frage, wie es wohl wäre, ein Jahr lang dasselbe Kleidungsstück zu tragen. Das geschah zeitgleich mit der Beratung einer Geschäftsführerin, die vor lauter Streß kurz vor dem Zusammenbruch stand, und meinen abendlichen Experimenten mit Kalligraphie. Ich fragte mich: Wenn alles miteinander verbunden ist, in welchem Zusammenhang stehen dann diese scheinbar voneinander unabhängigen Themen?

Worum ging’s?

A – Da war zum einen die Journalistin, die ein Jahr lang dasselbe Kleid trug. Genau genommen hatte sie drei Exemplare zum Wechseln, doch äußerlich unterschieden sie sich durch nichts. Nach eigenen Angaben trug sie dieses Modell im Sommer wie im Winter, beruflich wie privat: Offizielle Empfänge, Wohnung renovieren und Safariurlaub inbegriffen.

B – Bekam ich einen Beratungsauftrag von einer Geschäftsführerin, die Impulse von außen brauchte. Vor einem Jahr hatte sie äußerst ambitioniert und mit dem Ziel, frischen Wind in das Unternehmen zu bringen, ihre neue Position angetreten. Alles fing auch gut an: Gleich zum Einstieg veranlasste sie die komplette Renoverung des Hauptsitzes und einiger Fililialen, verfaßte Memos über wertschätzendes Betriebsklima und organisierte Teamentwicklungen, um eine interne Struktur mit flachen Hierarchien und vereinfachten Abläufen zu schaffen. Doch statt des erhofften Erfolgs kündigten nach und nach wichtige Funktionsträger und sie stand ratlos vor einem Scherbenhaufen.

C- Nach einem intensiven Wochenend-Workshop im Handlettering kam ich so richtig auf den Geschmack. In meiner freien Zeit fertigte ich Postkarten und Geburtstagsgrüße in stylischer Schönschrift und fand darüber den Weg zur Kalligraphie.

In einer traumhaften Nacht vermischt sich das alles und am Morgen versuche ich, den Zusammenhang zu finden. Doch schon der Versuch, Ordnung zu schaffen, gelingt nicht gleich. Wie lassen sich die Erfahrungen zusammenfassen?

Die Vorbereitung

A – Besagte Journalistin hatte sich lange vorher viele Gedanken über die Anforderungen gemacht, die ihr Kleid erfüllen soll. Sie beauftragte eine Schneiderin und die gab, zusätzlich zum Entwurf, wertvolle Hinweise zum Material: pflegeleicht, wärmend/kühlend etc. Außerdem entwarf sie eine pfiffige Variante um den Kragen rum, so dass trotzdem immer Abwechslung möglich war. Dennoch setzt so ein Experiment Selbstkenntnis, Offenheit und Humor voraus.

B – Die Geschäftsführerin hat sich im Vorfeld ebenfalls viele Gedanken über die moderne Arbeitswelt gemacht. Betriebsklima, Wertschätzung, freundliches Ambiente sind ihr ebenso wichtig wie gute Bilanzen und eine klare Positionierung am Markt.

Doch während der Beratung wird offensichtlich, das ein enorm wichtiger Schritt ausgelassen wurde. Vor lauter Eifer hatte sie übersehen, dass das Unternehmen wie ein lebendiger Organismus funktioniert und das auch, was man nicht sieht, ganz entscheidend zum Erfolg beiträgt. Konkret erläutert sei dies am Beispiel des menschlichen Körpers: Auch wenn niemand die Leber sieht, für das Wohlbefinden hat sie eine entscheidende Aufgabe.

C – Auch bei Handlettering und Kalligraphie ist Vorbereitung alles. Die Hand muss sich einschreiben, schön warm und locker werden. Papier, Stifte, Pinsel, Tusche sollten griffbereit liegen. Die Atmosphäre der Konzentration wird langsam aufgebaut – im Zen würde man wohl sagen: erst wenn ich Papier und Pinsel ZUGLEICH BIN, kann’s wirklich losgehen.

Selbsterkenntnis

A – Die Journalistin wollte sich besser kennen lernen und sich mittels Selbstversuch beantworten, was sie im Leben wirklich braucht. Wird sie es eher erlösend oder belastend empfinden, über ganz Alltägliches nicht dauernd nachdenken zu müssen? Wie kreativ wird sie sein? Wie wird es ihr gelingen, mit Spott oder Unverständnis der Anderen und mit eigenen Launen umzugehen? Wird sie durchhalten?

B – Herauszufinden, wo im Unternehmen Herz und Leber sitzen, bevor richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden, ist keine Zeitverschwendung. Die Ursachenforschung während der Beratung brachte immense Selbstzweifel und Unsicherheit ans Licht: „Was, wenn ich scheitere?“, lag unbewusst vielen getroffenen Entscheidungen zu Grunde. Statt bei Antritt neue Direktiven zu erlassen, bestehende Teams neu zusammen zu setzen und Entlassungen zu veranlassen wäre es hilfreicher gewesen, den üblichen „100 Tage Kredit“ zu nutzen und „den Organismus“ Unternehmen kennenzulernen.

C – Relativ früh an „Leistung bringen“ gewöhnt, war für mich die Herangehensweise dieser Schreibart eine neue Erfahrung: spielerisch das Papier nur mit den Fingersspitzen fühlen, Stifte ausprobieren, einfach aufwärts oder abwärts Striche zu ziehen oder Lieblingsbuchstaben variieren – alles, um die Eigenarten des Materials kennenzulernen und dabei meine Hand aufzuwärmen. Statt – wie üblich – gleich effizient mit Ergebnissen aufwarten zu wollen, habe ich erstmal  nur gespielt. Das brachte die erforderliche Lockerheit für den entscheidenden Schritt:

Finale: Konzentriertes Handeln

A – Das Kleid wurde nach Entwürfen geschneidert und die Journalistin hat es durchgehalten. Trug ein Jahr lang dasselbe Kleid. Hat den „Lappen“ zwischendurch verflucht und währenddessen die Reaktion der Umwelt erforscht: „Hast Du nichts anderes anzuziehen?!“ Ihre Erkenntnis: die scheinbare Freiheit, tragen zu können was man / frau will, basiert dennoch auf der gesellschaftlichen Forderung nach ständiger Veränderung (= mit der Mode gehen). Doch hatte sie nach diesem Jahr einen Grad an Autonomie erreicht, der ihr nur durch persönliche Beschränkung und Kreativität möglich war.

B – Flache Hierarchie bleiben leere Wörter, wenn keine Konsequenzen folgen. In diesem Fall lautete das Zauberwort: Vertrauensvorschuss. Denn wo zwischenmenschliche Kontakte beschädigt sind braucht es oft lange, sie wieder zu flicken. Bei der Geschäftsführerin führte die unbewußte Sorge, ob sie die Position ausfüllen kann, zu übermäßger Kontrolle – ganz das Gegenteil einer flachen Hierarchie.

Hier half ein Schritt zurück und erstmal so tun „als ob … “ alles auch ohne sie gut läuft. In einem offenen Gespräch mit den Mitarbeiter-innen gestand die neue Geschäftsführerin den Grund für ihren Übereifer und zeigte sich bereit, nun einen Vertrauensvorschuss zu geben. Das kam gut an und die Belegschaft war wiederum bereit, ihr eine zweite Chance zu gewähren. Währenddessen arbeiteten wir mit Hilfe von Aufstellungen an ihren Ängsten, nutzten Methoden des Feng Shui um nachträgliche Raumoptimierungen zu machen und mit Ruhe und Bedacht erstellte sie neue Ist-Soll Analysen, die auf Beobachtung von „Leber, Herz und Lunge“ der Firma basierten.

C – Beim Handlettering ist es wichtig, nicht nachzulassen: Der letzte Buchstabe gehört ebenso sorgfältig geschrieben, wie der erste. Eine Kalligraphie wird oft in Sekunden erstellt, doch diese Sekunden sind gebündelte Konzentration: Was zählt ist dieser Moment. Und den kann ich nur ausfüllen, wenn ich darauf vorbereitet bin. Was so lässig ausschaut, ist in Wahrheit die Essenz des Ganzen. Vieles bleibt dabei unsichtbar: die verhauenen Entwürfe, die Lockerungsübungen und das umgeworfene Tuschefass. Doch jetzt sehe ich: Das Perfekte ist nur deshalb gelungen, weil es alles enthält – auch die fruchtlosen Versuche sind Trittsteine auf dem Weg zum Ganzen.“

 

 

 

 

 

6 Kommentare zu “Was haben „ein Jahr, ein Kleid“, Angst vor Versagen und Kalligraphie gemeinsam?

  1. Sehr erhellend

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  2. ❤ Das finde ich jetzt gar nicht 'unrund' …
    allerdings sehr vielschichtig und mindestens vierdimensional 😉
    Sozusagen ein Text für Trüffelschweine.
    Danke dir sehr!

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  3. Interessant. Auch ich trage nur immer die gleichen Kleider, die schwarzen Jeans von einer bestimmten Marke, die schwarzen T-Shirts oder Poloshirts dazu und im Winter schwarze Rollpullis. Je nach Anlass auch einmal ein schwarzes Sakko. Doch wenn mir danach ist breche ich mit einem wirklich blauen Sakko und alle meine Gesprächspartner sind verblüfft. Grüsse tom

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    • Das finde ich Klasse, Tom! Ich habe meinen Kleiderschrank mittlerweile nach Farben geordnet und stellte verblüfft fest, dass zwei überwiegen. Vermutlich werde ich nun alle anderen weggeben, mich bei Neukäufen farblich einschränken und mir so das Leben leichter machen. – Nur ein Kleid, soweit bin ich noch nicht – ausser wenn ich reise, dann brauche ich ganz wenig …

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