Etwas Anrührendes habe ich bei Wolf-Dieter Storl über „das Fest“ gelesen. Er schreibt über die Ursprünge von Weihnachten. Im Zeitalter, in dem man alles im Laden kaufen und sich von Dominosteinen ernähren kann erscheint es seltsam, über Äpfel und Nüsse reden zu hören. Und doch, beim Lesen klingt in mir etwas an, das ich lange schon gewusst habe. Und wir können kaufen solange wir wollen, dieses Sehnen nach dem Ursprung wird ohne Innehalten und Lauschen immer unerfüllt bleiben.
„In Wirklichkeit ist das Fest keine kulturelle Konstruktion, nichts willkürlich Ausgedachtes, sondern ein kosmisches Ereignis, das alle Naturwesen, die in der nördlichen Erdhälfte leben, auf ihre Weise wahrnehmen. Es ist die Wende der Sonne, die Wiedergeburt des Lichtes, das allen Lebewesen auf Erden ihre Lebenswärme schenkt. Es ist das Licht, das die Kräuter und Bäume mit jedem ihrer grünen Blätter anbeten und aus dem sie die Lebenskraft saugen, die sie an uns und an die Tiere in Form von Nahrung weitergeben. Es ist das Licht, das die Vögel jeden Morgen bejubeln. Es ist dieses Licht, das transformiert auch in uns als das Licht der Seele und des Geistes scheint, das uns die Erleuchtung schenken will und uns Erlösung von all dem Wahn, der unsere Seele verdunkelt, in Aussicht stellt.
In der Stille, in der Einkehr – am Herdfeuer zuhause oder im tiefen Schnee unter dem Sternenhimmel – nehmen wir das Mysterium der Wintersonnenwende am Besten wahr. Im Spiegel unserer Seele erscheint das Geschehen bildhaft als als die Geburt des Sonnenkindes. In der dunkelsten, längsten Nacht des Jahres, wird das göttliche Himmelskind von der Erdmutter unter den Wurzeln des Weltenbaumes wiedergeboren. So nahmen es unsere heidnischen Vorfahren wahr.
Das hohe Fest hatte sich im Fische-Zeitalter ein christliches Gewand angelegt. Am Fuße des immergrünen Weihnachtsbaumes – er symbolisiert den kosmischen Baum, den Weltenbaum, den Makrokosmos – wird das Kindlein, das „Licht der Welt“, der Heiland, geboren. Maria und Josef, das männliche und weibliche Prinzip (die Dualität des Daseins) „betrachten es froh“. Ochs und Esel und Schafe – symbolisch für die beseelte Welt der Tiere, sind dabei; und im „Heu und Stroh“ wird die Pflanzenwelt angedeutet. Die Engel – die Götter und hohen Geistwesen – jubilieren und kommen nahe.
Die einfachen Hirten stellen Meditierende dar; die sternenkundigen Könige aus dem Morgenland symbolisieren dagegen die weise Gelehrsamkeit und das Erschauen der Zeichen in der äußeren Natur. Beides sind Wege, das Weihnachtswunder zu schauen: Die stille Einkehr, wie es bei den Hirten der Fall ist, oder das aufmerksame Lesen in der Natur. Die Inder bezeichnen das als Bhakti-Yoga und Raja-Yoga, der Weg der liebvollen Hingabe, einerseits, und der Weg der geistigen Erkenntnis, anderseits.
Auf jeden Fall ist das „Christkind“ älter als die Kirche, auch der Weihnachtsmann – Väterchen Frost (Russland), Julpukki (Finnland), Belznickel, Hoteiosho (Japan), Shendang Laoren (China) Sami-Chlaus, Kris Kringle, Pere Noel – ist älter als die historische Figur des Sankt Nicolaus, der einst Bischof in Myra, in der heutigen Türkei, war. Der alte weise Wintergeist trägt Äpfel und Nüsse in seinem Sack – das sind die Samen der Zukunft, Nahrung die über den kalten Winter hinweg trägt, und zugleich Opfergaben für die verstorbenen Ahnen. Der Alte kommt – oft mit dem Christkind – aus dem tiefen verschneiten Wald, aus dem saturnischen Tannenwald, aus der Tiefe unserer Seele. Er trägt Haselruten mit sich, mit denen die Lebenskraft auf junge Frauen übertragen wird, so dass sie schwanger werden und die Ahnen sich neu auf Erden verkörpern können. Im Norden, in Skandinavien und im europäisch geprägtem Amerika, kommt der Weihnachtsmann – wie ein fliegender Schamane – mit einem Rentierschlitten oder einem Hirsch. In Finnland kommt der Julpukki mit einem Ziegenbock daher – Hirsche, Böcke und dergleichen stellen die Urerinnerung an altsteinzeitliche Tiergottheiten dar. Bei den Slawen reitet er einen Schimmel, ein Geisterpferd. Durch den Geistereingang, den Kamin oder Schornstein, der säuberlich gefegt sein muss, kommt er in der Stille der Nacht ins Haus und legt seinen Segen in die Schuhe und Stiefel, die die Menschen durchs Jahr tragen werden.
Indem wir zur Wintersonnwende und in der Heiligen Nacht stille Einkehr halten, werden wir diese Wunder „sehen“ können. Und wenn wir davon berührt werden, dann meldet sich des kritische, alltägliche Verstandesbewusstsein ab, dann werden wir mitgerissen und geraten in Ekstase, dann fliegt unsere Seele wie eine Wildgans im Einklang mit dem Atemzug der Erde. Dann tanzen und singen wir, und lassen die Gläser klingen. Dann sind – wie bei jedem wirklichen Feiertag – auch die Ahnen und Götter dabei, feiern mit uns und geben uns ihren Segen.“ Wolf-Dieter Storl.